Annemarie Arzberger, Schöngeist Vulvarin, 2021
Foto: Clemens Schneider
Annemarie Arzbergers Bildwelten sind fantasievoll und üppig, überbordend barock und detailreich zugleich, manchmal gar unheimlich und bizarr, aber immer von einer Vielzahl von Wesen bevölkert, deren Geschichten Neugier hervorrufen. Arzbergers Praxis hat ihren Ursprung sowohl in der Zeichnung, als auch in der Malerei, wobei seit einigen Jahren parallel dazu plastische Figuren entstehen, die als bewegliche und spielbare Puppen zum Einsatz kommen, sofern sie nicht als statische Skulpturen gezeigt werden. Für die HALLE FÜR KUNST Steiermark entwickelt die Künstlerin zum ersten Mal ein eigenes Stück und so ein Setting für ihre Puppen, für das sie selbst auch zu einer der Hauptfiguren der Performance wird, die mittels Körper- und Puppentheater Tanz- und Lipsync-Elemente mit musikalischen Momenten sowie Sprechtheater verbindet.
Das Kunsthandwerk des Puppenbaus kann auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurückblicken und hat sich ab dem 20. Jahrhundert immer mehr zum Teil von Produktionen der Bildenden Kunst etabliert. Die Verbindung zwischen Bildender Kunst und Puppentheater eröffnet ein facettenreiches Spannungsfeld zwischen statischer Form, performativer Geste und Bewegung mittels verschiedener Medien. Künstler:innen wie Sophie Taeuber-Arp, William Kentridge, Tony Oursler oder Wael Shawky haben diese Schnittstelle auf ganz unterschiedliche Weise ausgelotet und die Möglichkeiten zum künstlerischen Ausdruck erweitert. Sophie Taeuber-Arp, eine zentrale Figur der Dada-Bewegung, gestaltete Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur abstrakte Kompositionen, sondern entwarf auch kunstvoll stilisierte Puppen für das Dada-Puppenspiel König Hirsch (1918). Ihre Figuren verbinden die Ästhetik geometrischer Abstraktion mit der Körperlichkeit des Puppenspiels und artikulieren dadaistische Gesellschaftskritik sowie spielerische Experimentierfreude. In ihrer Arbeit überwindet sie die Grenzen zwischen Kunsthandwerk, Bühnenbild und Performance. Auch der südafrikanische Künstler William Kentridge bewegt sich in seinen Schattentheatern an der Schnittstelle von Bild und Bewegung und verbindet Zeichnung, Film, Animation und Performance zu komplexen Narrationen. Puppen und Schattenfiguren dienen ihm als symbolische Träger historischer und politischer Themen, etwa der Kolonialvergangenheit und der Apartheid. In seinen Installationen kombiniert der US-amerikanische Medienkünstler Tony Oursler skulpturale Objekte mit Videos von sprechenden Gesichtern, die auf deformierte Puppenkörper oder amorphe Figuren projiziert werden. In Wael Shawkys monumentalen filmischen Arbeiten rekonstruieren Puppen historische Ereignisse, die für das weltpolitische Geschehen noch immer Konsequenzen haben.
In all diesen Positionen zeigt sich, wie das Puppenspiel als Medium der Transformation fungiert: Es lässt Körper, Material und Bild in Bewegung treten und öffnet damit Räume für neue künstlerische Ausdrucksformen – zwischen Bühne und Bildträger, Objekt und Narration. Auch Arzberger lässt sich in diesem Spannungsfeld verorten, oszillierend zwischen Objekt und Subjekt und hier zwischen Traum und Wachsein ist sie in diesem Setting in der Lage, psychologische Zustände und noch nicht verloren gegangene Kindheitsträume performativ darzustellen.
Während der Corona-Pandemie produzierte Arzberger für eine Onlineserie Kostüme und im weiteren Verlauf für das Theater mehrere Puppen, die zu Protagonist:innen in verschiedenen Produktionen wurden, was ihre eigene künstlerische Arbeit nachhaltig beeinflusst hat. Seitdem entwickelt sich das Theater immer mehr zu einem Lebensraum ihrer Figurinen und Spielpuppen. Behutsam und facettenreich kreisen Arzbergers Werke um aktuelle gesellschaftlich relevante Themen. Diesen begegnet sie mit Empathie und Führsorge, wobei sie kein genuin politisches Interesse verfolgt, sondern eine Phantasiewelt entwirft, die als Zufluchts- und Sehnsuchtsort dient: In wachgeträumt werden ihre Puppenfiguren und Masken sowohl als eigenständige Werke Teil einer größeren Gesamtinstallation, als auch im Zustand der performativen Aktivierung gezeigt. Arzbergers Charaktere werden so in eine räumliche und zeit-basierte Situation gestellt, die es ihnen ermöglicht, ihre gesamte Qualität auszuspielen.
Für die HALLE FÜR KUNST Steiermark entwickelt die Künstlerin in ihrer performativen Präsentation zum ersten Mal ein eigenes Stück und so zugleich ein Setting für ihre Puppen mit drei Szenen, das in einem imaginären Raumschiff spielt, eine Ausstellung umfasst sowie die Räumlichkeiten, das die Szenen vorgeben: das Schlouflaboar, die Houloudecks und die Space-Grotten-Disko. Bei dem Stück handelt es sich um eine Kombination aus Körper- und Puppentheater, welches die Künstlerin gemeinsam mit ihrer Schwester Katharina Arzberger aufführt und das mit musikalischen Momenten, arrangiert von Manuel Obriejtan, unterstützt wird. Während die Puppenfiguren Sanftmut, Milde oder Friedlich ihren Blick gebannt auf die Bühne richten, kommt Dolores eine tragende Rolle in der gesamten Komposition zu. Der Name ist dabei alles andere als zufällig gewählt: Der lateinische Wortstamm bedeutet Schmerz und diesen strahlt die Puppe in einem gewissen Sinne auch aus. Ihre goldenen Augen und die langen spitzen Zähne haben nicht viel mit dem Kindlichen oder dem ungestört Schönen, um nicht zu sagen Naivem zu tun, was man gemeinhin mit dem Medium des Puppentheaters verbindet. Auf der Bühne werden ebenfalls die vier Ängsten Schwestern zu sehen sein, eine Spezies, die hochsensiebel und innerlich zerissen, ihre Gefühle mit dem Publikum teilen.
Bei gedämpftem Licht entsteht wachgeträumt also als eine Abfolge verschiedener Szenen und Situationen mittels mehrerer Kunstwerke und Arrangements, die sich in einem bunten Treiben Stück für Stück vor den Besucher:innen entfaltet und immer tiefer in ihre immersive Welt lockt. Die verschiedenen Szenen sind auch räumlich getrennt durch halbtransparenten Tüll. Detailreich gestaltete Malereien, Puppen und andere Kunstwerke treffen auf ein Arrangement, dass bewusst DIY-Anleihen hat und zugleich an träumerische Inszenierungen der Kindheit erinnert. Für die musikalische Auswahl hat sich die Künstlerin in die Welt des Schlagers ihrer Kindheit und der Klänge der Natur, wie sie für Meditation eingesetzt wird, begeben. Die Arbeit wird zur Première am ersten Abend als eine Inszenierung gezeigt. Am zweiten Abend wird die Bühnensituation zur begehbaren Installation, die über den Verlauf der Langen Nacht der Museen situativ mittels kürzerer Szenen und Songs aktiviert wird und so die Zusammenstellung der Puppen, Malereien und Bühnen, die für sich auch als kleine Werkschau zu verstehen sind, performativ belebt. Die Besucher:innen werden dabei fast Teil der Szenerie selbst. Durch die Verschränkung aus dem vermeintlich kindlichen Medium des Puppentheaters, einer mehr als ungewöhnlichen Bildsprache und einer Überführung der einzelnen Charaktere in eine umfassende Bildwelt gelingt Annemarie Arzberger ein ganz eigener verspielter, poetischer und gleichzeitig auch unprätentiöser Ansatz, der gleichermaßen verzückt, belustigt und verstört.
Termine:
Performance: 3.10.2025, 18:00 Uhr
Performative Intervention Lange Nacht der Museen: 4.10.2025, 18:00 – 0:00 Uhr
Performance von und mit Annemarie Arzberger und Katharina Arzberger,
mit musikalischen Momenten arrangiert von Manuel Obriejtan
Kuratiert von Jan Tappe